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April 6, 2022
Ab 16 ist kein Halten mehr

Fabian Dehos untersucht den kausalen Zusammenhang zwischen der Zugangsgrenze zu Alkohol, dem Alkoholkonsum von Jugendlichen und ihrem kriminellen Verhalten.

Bier, Wein, Sekt sind in Deutschland ab 16 erlaubt. Der Konsum steigt dann sprunghaft – und mit ihm kriminelles Verhalten.

Deutschland zählt weltweit zu den Spitzenreitern im Alkoholkonsum. Im Jahr 2018 tranken, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Deutsche ab 15 Jahren im Durchschnitt 12,9 Liter Alkohol pro Kopf. Weltweit betrug der durchschnittliche Alkoholkonsum in dem Jahr nur etwa sechs Liter pro Person. Deutschland weist im internationalen Vergleich auch eine der niedrigsten Alterszugangsbeschränkungen zu Alkohol auf.

In Deutschland konsumieren Jugendliche im Durchschnitt deutlich mehr Alkohol als in anderen Teilen der Welt. Erschreckend hoch ist das Level bei den Unter-16-Jährigen. Zum Vergleich: In den USA trinken, gemäß Angaben der WHO aus dem Jahre 2011, etwa 50 Prozent der 15-Jährigen über den Zeitraum eines Jahres Alkohol; in Deutschland sind es rund 89 Prozent.

Das Mindestalter, um Alkohol konsumieren zu dürfen, liegt in Europa deutlich niedriger als im Rest der Welt. In Deutschland, Belgien und Österreich dürfen Menschen bereits ab 16 Jahren Alkohol trinken. In Kanada ist dies je nach Region ab 18 beziehungsweise 19 Jahren erlaubt; in den USA liegt das Mindestalter bei 21 Jahren.

Bereits mit 16 Jahren dürfen deutsche Bürgerinnen und Bürger fermentierten Alkohol, also Bier, Wein und Sekt, zu sich nehmen. Und das tun sie auch. Konsumerhebungen in den vergangenen Jahren ergaben, dass ungefähr 90 Prozent aller Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren schon einmal Alkohol in ihrem Leben getrunken haben, in 62 Prozent aller Fälle auch innerhalb der letzten 30 Tage.

Besorgniserregend ist auch die Anzahl der Delikte, die das Bundeskriminalamt jährlich im Zusammenhang mit Alkoholkonsum erfasst: etwa 200.000 Straftaten im Jahr 2020. Allein im Bereich der Gewaltkriminalität hatte rund jeder vierte Tatverdächtige getrunken. Die Daten legen nahe, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Kriminalität besteht. Ökonom Dr. Fabian Dehos belegt ebendiese Kausalität in seiner neuen Studie, veröffentlicht im Journal of Health Economics. Der ehemalige RUB-Doktorand zeigt darin, wie sich die Vorgabe der deutschen Politik – der Zugang zu Alkohol ab dem 16. Lebensjahr – auf den Alkoholkonsum der Jugendlichen und ihr kriminelles Verhalten auswirkt.

Dazu hat Dehos Umfragen zu Konsumgewohnheiten von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren im Zeitraum von 2005 bis 2015 in Beziehung zur polizeilichen Kriminalstatistik desselben Zeitraums gesetzt. An die Umfragedaten zum Konsumverhalten gelangte er über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Außerdem wertete er die Europäische Schülerinnen- und Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen aus. An verlässliche Zahlen zum Kriminalitätsverhalten von Jugendlichen zu kommen, gestaltete sich hingegen deutlich schwieriger. „Nicht alle Landeskriminalämter können Daten zur Verfügung stellen“, berichtet Dehos. Am Ende wurde er in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg fündig. „Die Daten dieser beiden Länder bilden das gesamtdeutsche Kriminalitätsverhalten gut ab und geben detailliert Auskunft über junge Straftäterinnen und Straftäter“, so der Postdoktorand.

An den Cut-off heranzoomen

Um zu untersuchen, inwiefern sich der Alkoholkonsum mit dem 16. Geburtstag ändert, musste Dehos möglichst nah an den gefragten Zeitpunkt, den „Cut-off“, heranzoomen. Verzerrende Charakteristika, wie die individuelle Risikoeinstellung oder der Familienhintergrund, die normalerweise einen großen Einfluss auf das Konsum- und Kriminalitätsverhalten haben, werden auf diese Weise konstant gehalten. Sie verändern sich für Jugendliche kurz oberhalb oder unterhalb des Cut-off nicht.

„In meinen Untersuchungen fokussiere ich mich bewusst auf die Zugangsgrenze zu Bier und Wein mit 16 Jahren. Den 18. Geburtstag – die Zugangsgrenze für Spirituosen – betrachte ich jedoch nicht. Mit Volljährigkeit treten in Deutschland nämlich zu viele weitere Veränderungen auf, die das Leben eines jungen Erwachsenen beeinflussen. Diese Ereignisse würden die Ergebnisse verzerren“, erklärt der Volkswirt.

Das RD-Design

Als Forschungsmethode wählt Dehos das sogenannte Regression-Discontinuity-Design (zu Deutsch: Regressions-Diskontinuitäts-Analyse). Dieses zählt zu den gängigen Instrumenten der empirischen Wirtschaftsforschung und wird verwendet, um kausale Zusammenhänge zu identifizieren: Wie wirkt sich die Veränderung einer Variablen auf die Veränderung einer anderen aus?

„Das RD-Verfahren bietet sich in meiner Studie besonders an, weil die Zugangsbeschränkung zu Alkohol mit dem 16. Geburtstag von einem Tag auf den anderen entfällt. Diese Diskontinuität der Altersvariable nutze ich aus“, erklärt der Ökonom vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

Den Sprung sichtbar machen

Das Ergebnis der Studie? „Tatsächlich lässt sich beim Überschreiten des Mindestalters statistisch und auch grafisch ein deutlicher Anstieg oder Sprung im Konsumverhalten erkennen: Jugendliche in Deutschland nehmen ab dem 16. Lebensjahr deutlich mehr und deutlich häufiger Alkohol zu sich als zuvor“, fasst Dehos zusammen. Vergleiche man die Zahlen zum Konsumverhalten der Jugendlichen 30 Tage vor ihrem 16. Geburtstag mit denen 30 Tage danach, dann zeige sich ein Anstieg um zehn Prozentpunkte. Hatten zuvor bereits 70 Prozent der Jugendlichen Alkohol konsumiert, waren es nach dem Geburtstag 80 Prozent.

Deutlicher Anstieg von Straftaten unter Alkoholeinfluss

Doch nicht nur der Alkoholkonsum nimmt mit Überschreiten des Mindestalters sprunghaft zu. Die Analysen des Wirtschaftswissenschaftlers zeigen auch, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem vermehrten Alkoholkonsum ab dem 16. Lebensjahr und der Beteiligung an Straftaten besteht. „Von 10.000 Jugendlichen unter 16 Jahren begehen im Durchschnitt 75 davon pro Jahr Straftaten unter Alkoholeinfluss. Ab dem 16. Geburtstag erhöht sich die Anzahl der Delikte im betrunkenen Zustand um weitere zwölf. Das entspricht einem Anstieg von 16 Prozent“, so der Ökonom.

Steigerung bei unterschiedlichen Deliktarten

Die Steigerung sei sowohl bei Gewaltdelikten als auch bei Eigentumsdelikten zu beobachten: Die Fälle von leichter und schwerer Körperverletzung würden mit 16 Jahren um 17 Prozent ansteigen, die Fälle von Vandalismus und Diebstahl um 20 Prozent. Diese Anstiege würden vor allem am Wochenende auftreten, wenn die Jugendlichen nicht im strukturierten Schulalltag eingebunden seien. Auch bei jungen Frauen sei ein Kriminalitätsanstieg zu beobachten, obwohl junge Männer mit einem Anteil von 90 Prozent deutlich mehr Straftaten unter Alkoholeinfluss begingen. Auffällig sei außerdem, dass die Anzahl der Ersttäterinnen und Ersttäter ab dem 16. Geburtstag zunehme. „Viele begehen alkoholbedingte Straftaten zum ersten Mal. Alkoholisierte Wiederholungstäterinnen und -täter werden durch einen erleichterten Zugang nicht krimineller“, so Dehos.

Politische Maßnahme wirksam

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Mindestalter, die Zugangsgrenze zu Alkohol mit 16, wirksam ist. „Das ist die gute Nachricht. Die Zugangsbegrenzung ist effektiv. In einer Welt, in der es diese Beschränkung nicht gäbe, wären sowohl das Konsumniveau als auch das Kriminalitätsniveau noch höher als dies schon der Fall ist“, folgert der Ökonom.

Und die schlechte Nachricht? „Zum einen ist das Konsumlevel unterhalb des 16. Geburtstages im globalen Vergleich sehr hoch“, findet Dehos. Ergänzende Auswertungen würden zeigen, dass mehr als 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren den Zugang zu Bier und Wein als leicht oder sehr leicht einschätzen. „Eine striktere und konsequentere Durchsetzung der gesetzlichen Zugangsbeschränkung könnte somit sinnvoll sein, um auch dieses Level weiter zu senken“, so Dehos. Zum anderen sei der Konsumanstieg ab 16 Jahren nicht unproblematisch. „Jugendliche sind in diesem Alter noch in der Entwicklungsphase – sowohl neuronal als auch verhaltensbiologisch“, gibt der Ökonom zu bedenken. „Ein höheres Mindestalter für Alkohol in Deutschland könnte dabei helfen, dass weniger Jugendliche kriminell werden und könnte zugleich ihre Gesundheit in dieser wichtigen Entwicklungsphase schützen“, resümiert Dehos.

Originalveröffentlichung

Fabian Dehos: Underage access to alcohol and its impact on teenage drinking and crime, in: Journal of Health Economics, 2022, DOI: 10.1016/j.jhealeco.2021.102555

Quelle