1. Oktober 2021
Produzieren, ohne die Umwelt zu vergessen
Ein Wirtschaftssystem, das nur auf Output getrimmt ist, aber die Umwelt nicht im Blick hat, ist nicht mehr zeitgemäß. RUB-Forscherinnen entwickeln Konzepte für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft.
Um die Leistung eines Unternehmens zu beurteilen, braucht man im Grunde nur zwei Dinge: den Input und den Output. Man kann vergleichen, was an Arbeitskraft und Materialien in den Produktionsprozess einfließt und was an Produkten am Ende herauskommt. Allerdings spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle, um ein Unternehmen zu beurteilen, etwa die Umweltbelastung, die durch den Produktionsprozess entsteht. Für solche Faktoren interessiert sich das Team um Prof. Dr. Marion Steven vom RUB-Lehrstuhl für Produktionswirtschaft. Die Forscherinnen und Forscher entwickeln Konzepte für nachhaltige Produktions- und Konsummuster.
„Ich habe mich schon während meiner Habilitation ab 1989 mit Produktion und Umweltschutz beschäftigt“, erinnert sich Marion Steven. „Anfangs konnte ich das Thema aber nie so recht an meinen Fakultäten platzieren.“ Die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 gab der Wissenschaftlerin die entscheidende Motivation, das Thema zu forcieren. „Damals dachte ich: Irgendetwas muss ich beitragen, also habe ich eine Vorlesung für Umweltmanagement ins Leben gerufen“, so die Forscherin.
Umweltbelastung in Produktivitätsindex einbeziehen
Mittlerweile ist Nachhaltigkeit ein Schwerpunkt an ihrem Lehrstuhl, an dem sich beispielsweise Verena Aufderheide in ihrer Promotion damit beschäftigt, wie man die Produktivität von Unternehmen unter Berücksichtigung von Umweltaspekten messen kann. Mit dem etablierten Produktivitätsindex lässt sich die wirtschaftliche Leistung eines Unternehmens beurteilen, unberücksichtigt bleiben jedoch die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Aktivitäten. Eine Firma, die die Umwelt stark belastet, dabei aber viel produziert, kann somit gute Kennzahlen erzielen. „So kann es nicht weitergehen“, sagt Verena Aufderheide. „Wir möchten die Umweltbelastung mehr in den Fokus rücken.“
In ihrer Doktorarbeit entwickelt die Forscherin, die sowohl eine mathematische als auch eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung hat, den sogenannten Green Productivity Index. Dieser erlaubt es zum einen, die erzeugte Umweltbelastung durch umweltförderliche Maßnahmen wie Recycling auszugleichen. Außerdem können Produktivität und Umweltwirkungen in der neuen Formel über einen Faktor gewichtet werden. Ein Unternehmen kann somit entscheiden, auf was es den Fokus legen möchte. Derzeit arbeitet Verena Aufderheide noch daran, eine soziale Komponente in den Green Productivity Index zu integrieren. „Soziale Aspekte sind allerdings wesentlich schwerer in einer Formel darzustellen, da sie anders als Emissionen oder Müllproduktion nicht einfach messbar sind“, beschreibt sie die Herausforderung.
„Mein Wunsch wäre, dass Unternehmen den Green Productivity Index irgendwann für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung nutzen“, so die Forscherin. „Mithilfe des Index könnte ein Unternehmen etwa berechnen, ob es im Lauf der Zeit durch bestimmte Maßnahmen nachhaltiger wird.“ Auch Vergleiche zwischen Unternehmen einer Branche wären denkbar.
Kreislaufwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit
Ein Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit sowohl für die Produktion als auch für den Konsum ist eine Kreislaufwirtschaft – Circular Economy lautet das aktuelle Stichwort. „Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie man von traditionellen, linear angeordneten Wertschöpfungsketten zu einem zirkulären Ökosystem kommen kann, in dem verschiedene Partner gemeinsam Werte schaffen“, beschreibt Laura Montag, ebenfalls Doktorandin am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft. Ziel eines solchen Systems ist es, Materialien und Produkte möglichst lange zu nutzen, wiederzuverwenden, zu reparieren oder zu recyceln, um die Umweltbelastung gering zu halten. Idealerweise fällt in einem solchen System überhaupt kein Abfall mehr an. Gemeinsam mit Verena Aufderheide hat Laura Montag ein Konzept für ein solches Ökosystem am Beispiel der Fotovoltaik entwickelt.
„Fotovoltaikanlagen haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 Jahren“, erklärt Laura Montag. „Bis 2030 werden sich acht Millionen Tonnen Abfall von defekten Zellen ansammeln.“ Was am Lebensende eines Produkts passiert, wird oft zu Beginn nicht mitgedacht – ein Problem für die Nachhaltigkeit.
Potenzial der Fotovoltaik ausschöpfen
In Bezug auf die Fotovoltaikanlagen haben die Forscherinnen drei Barrieren ausgemacht, die bislang verhindern, dass das Potenzial der Fotovoltaikanlagen ausgeschöpft wird: finanzielle, technologische, und ökologische. Wenn Menschen sich für die Anschaffung einer Solaranlage interessieren, sehen sie sich zunächst hohen Investitionskosten gegenüber. Das kann sie von der eigentlich sinnvollen Anschaffung abhalten. „Wer eine Fotovoltaikzelle kaufen will, muss sich außerdem mit vielen technischen Aspekten befassen – denn es gibt verschiedene Produkte, von denen man das richtige auswählen will, schließlich ist es eine teure Anschaffung für viele Jahre“, erklärt Laura Montag. Hinzu kommen die bereits beschriebenen Probleme, die später bei der Entsorgung oder bei eventuellen Reparaturen auftreten, für die man wiederum Fachexpertise benötigt.
Im Ökosystem der Forscherinnen ist daher gar nicht vorgesehen, dass Kundinnen und Kunden sich eigene Solarzellen kaufen. Stattdessen mieten sie die Produkte. So fallen für sie keine Investitionskosten an, und die Fachexpertise kann bei einer entsprechenden Firma gebündelt werden. In ihrem Konzept listen die Forscherinnen alle Akteure und Leistungen auf, die ein zirkuläres Fotovoltaik-Ökosystem benötigen würde, vom Hersteller über den Betreiber bis zum Konsumenten und Entsorger. In das Konzept fließen auch Industrie-4.0-Ansätze ein, beispielsweise eine App, mit der sich der Zustand der Fotovoltaikanlage kontrollieren lassen würde. Denn digitale Systeme können helfen, den Gesamtprozess besser zu koordinieren.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammenführen
Die Zusammenführung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, das die Forscherinnen am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft aktuell beschäftigt. „Dematerialisierung ist ein Trend“, sagt Lehrstuhlleiterin Marion Steven. „Die Bedeutung des Produkts wird immer kleiner, die Serviceleistung rückt mehr in den Fokus.“ Es geht darum, unnötige Sachgüter im Interesse der Nachhaltigkeit abzuschaffen. Ziel sind sogenannte Smart Sustainable Service Systems, in denen Digitalisierung, Dienstleistungen und Nachhaltigkeit zusammengebracht werden. Am Beispiel von Hochschulen will Verena Aufderheide aufzeigen, was das bedeutet. Zu diesem Zweck ist 2021 ein neues Projekt gestartet, in dem sie erarbeitet, an welchen Stellen smarte Konzepte sinnvoll sind und wie sie Hochschulen zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen können.